Eine Patientin besuchte regelmäßig eine Gynäkologin, um bei ihr einen Krebsabstrich vornehmen zu lassen. Dabei wurde die Patientin nie informiert, dass die Krebsabstriche nicht von der Gynäkologin selbst untersucht werden, sondern von einem Pathologen. Im Juli 2011 teilte die Gynäkologin der Patientin mit, dass die Abstriche ungünstig beurteilt wurden und ordnete weitere Kontrollmaßnahmen an. In Zuge dessen stellte sich heraus, dass der Gebärmutterhalskrebs schon weit fortgeschritten war.
Bei ordnungsgemäßer Untersuchung wäre der beginnende Krebs aber bereits schon zwischen 2005 und 2007 feststellbar gewesen. Wären bereits zu diesem Zeitpunkt die erforderlichen Schritte gesetzt worden, hätte das Entstehen von Krebs durch geringfügige Eingriffe verhindert werden können. Nun waren tiefgreifende Operationen erforderlich, die dauerhafte körperliche und seelische Beeinträchtigungen nach sich zogen.
Die Vorinstanzen wiesen das Schmerzengeldbegehren der Patientin gegen die Gynäkologin ab. Der Patienten sei klar, dass jeder Facharzt nur in einem Fachgebiet tätig werde. Daher hafte nur der Pathologe für die unrichtige Begutachtung, nicht aber die Gynäkologin, der kein Fehler vorzuwerfen sei.
Der OGH folgte den unteren Instanzen nicht und erkannte der Patientin ein Schmerzengeld in Höhe von EUR 35.000 zu. Der OGH führte aus: Findet sich eine Patientin in der Praxis einer Fachärztin für Gynäkologie ein und wünscht sie regelmäßige Krebsvorsorgeuntersuchungen, kann dies vom Arzt nur so verstanden werden, dass sie eine körperliche Untersuchung, die fachgerechte Vornahme eines Abstrichs, dessen fachkundige Begutachtung und die medizinische Beurteilung der gewonnenen Erkenntnisse im Hinblick auf das Krebsrisiko erwartet. Darüber, ob der aufgesuchte Facharzt die erforderlichen Einzelschritte selbst durchführt oder ob diese teilweise von einem weiteren Arzt vorgenommen werden, macht sich die Patientin keine Gedanken.
Wird die Patientin nicht auf die vertragliche Beziehung zu einem Pathologen hingewiesen, geht sie davon aus, dass das erforderliche „Gesamtpaket“ an medizinischen Leistungen in die Leistungspflicht und Verantwortlichkeit des aufgesuchten Gynäkologen fällt. Dies gelte insbesondere dann, wenn die Patientin weder Informationen über die Person des mit der Beurteilung des Abstrichs befassten Pathologen noch dessen schriftliches Untersuchungsergebnis erhält oder erhalten soll. Die Gynäkologin haftet in diesem Fall für Fehler des beigezogenen Pathologen, unabhängig davon, ob ihr ein Fehler vorzuwerfen ist oder nicht.
OGH 29.03.2017, 1 Ob 161/16g
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